«Neugierige Frauen werden manchmal zu vorschnell als ‹Gwundernase› eingestuft»
Ramona Williams, HR Business Area Partnerin bei Axians in der Schweiz, und Irene Zürcher, Site Engineer bei Axians Schweiz, haben kürzlich über die Herausforderungen bei der Suche nach MINT-Fachkräften und auch Frauen ganz generell referiert. Im Interview geben sie just zu diesen Themen Auskunft.
Wie haben Sie die Delegiertenversammlung der BPW Switzerland (Business & Professional Women) erlebt, bei der Axians und Actemium Schweiz Neumitglieder sind?
Williams: Wir durften einen Workshop über Frauen in unserem Unternehmen halten, die in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik tätig sind und über die Wichtigkeit von Diversity in MINT sprechen. Spannend war insbesondere die Tatsache, dass Frauen aus allen Branchen und Hierarchiestufen zusammenkamen und ein sehr interessanter Austausch stattfand.
Technische Berufe sind noch immer vielerorts eine Männerdomäne. Wie können wir Mädchen möglichst früh für MINT-Berufe begeistern?
Zürcher: Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen und konnte schon früh sehr viel ausprobieren. Werken mit Holz und Metall, aber auch Nägeln und Schrauben zählten da zur Tagesordnung. Aus der frühen Kindheit sind mir Lego und Fisher-Price-Spielzeug in guter Erinnerung. Wir hatten zudem stets eine Baustelle zu Hause, damit wurde schon früh mein Interesse am Bauen geweckt.
Kam so auch Ihre Begeisterung für Mathematik und Physik?
Zürcher: Unbedingt. Aber auch mechanisch-handwerkliche Berufe oder Handarbeit ganz allgemein reizten mich sehr. Denn da steckt viel Logik dahinter. Ich finde, dass heutzutage gerade auch Mädchen alles ausprobieren dürfen und sollten. Auf Bäume klettern, defekte Geräte auseinanderschrauben und Ähnliches hilft für das Verständnis und beseitigt Berührungsängste gegenüber der Technik. Meine Kinder haben so beispielsweise gesehen, wie eine alte Kaffeemühle funktioniert.
Was kann hier die Schule tun?
Zürcher: Wir haben im Kanton sogenannte Begabtenförderungsprogramme, in denen etwa meine Nichte einen Stuhl bauen kann oder einen 3-D-Drucker bedienen lernt. Solche Workshops müssen viel stärker gefördert werden. Die Berufsmesse kommt in vielen Fällen fast zu spät. Und viele exotische Berufe wie etwa Netzelektriker:in oder IT-Jobs erscheinen auf den ersten Blick wenig attraktiv.
Williams: Die MINT-Begeisterung hängt längst nicht nur vom Geschlecht ab, sondern von der Gesellschaft ganz allgemein. Auch das Elternhaus, die Lehrpersonen und Spielgruppen sind schon sehr früh sehr entscheidend. Bereits in den allerersten Lebensjahren starten Kinder mit ihrem Lernprozess – unbewusst durch Beobachtung. Sie nehmen unkritisch und unreflektiert auf, dass es verschiedene Geschlechter gibt, die unterschiedliche Aufgaben wahrnehmen. Das prägt tief und ist später schwer zu überwinden. Hier sind alle Erwachsenen gefordert und nicht nur die Schule. Als Vorbilder müssen wir alle ihnen bereits im Vorschulalter und auch später immer wieder klar zeigen, dass ihre private und berufliche Entwicklung nicht durch ihr Geschlecht vorbestimmt ist. Viele Berufe sind zudem nicht auf den ersten Blick fassbar. Den Beruf eine:r Automechaniker:in verstehen auch Kleinkinder sehr schnell. Bei einer IT-Fachkraft ist dies ganz anders, weil die Arbeit an einem Server weit weniger sichtbar ist.
Zürcher: Heutzutage haben sogar Traktoren immer mehr Elektronik an Bord. Ein:e Mechatroniker:in und Techniker:in Maschinenbau muss heute auch programmieren können.
Williams: Spannend ist beispielsweise das Berufsbild «Mediamatiker:in»; diese müssen sich längst nicht mehr nur in kaufmännischen Dingen auskennen, sondern auch in Sachen IT und Marketing. So findet die Diversität ihren Weg auch in den Berufsbildern und entspricht den Anforderungen des Marktes.
Gehen Frauen Probleme anders an als Männer?
Zürcher: Neugierige Frauen werden manchmal zu vorschnell als «Gwundernase» eingestuft. Das kann Frauen im Alltag hemmen. Bei Männern hingegen wird das meistens positiv als Geschäftsinteresse gedeutet. Solche und ähnliche geschlechtsspezifische Interpretationen müssen wir überwinden, denn auch innerhalb desselben Geschlechts gibt es unterschiedliche Ausprägungen. Es gibt ja auch das Sprichwort, dass hinter einem starken Mann meist eine noch stärkere Frau steht. Da steckt viel Wahrheit drin, denn es belegt, dass schlussendlich das Team zählt. Ein gutes Team muss alle Fähigkeiten von Mann und Frau beinhalten und alle müssen sich ausgewogen einbringen können.
Williams: Die Antwort auf diese Frage ist für mich weniger das Geschlecht, sondern vielmehr der Menschentyp. Die Persönlichkeit, die Erfahrungen, der Werdegang und die Wahrnehmung sowie die Werte, welche verinnerlicht wurden, spielen eine entscheidende Rolle. Die Erfahrung aus dem privaten wie auch beruflichen Umfeld zeigt leider noch immer, dass eine Frau teilweise auch heutzutage deutlich mehr leisten muss als ein Mann, um dieselbe Anerkennung zu kriegen.
Zürcher: Kinderbetreuung wird in unserer Gesellschaft noch zu oft als Frauensache gelebt, dabei ist eine gleichberechtigte aktive Unterstützung der Männer für die Entwicklung sehr wichtig. Frauen wollen und sind heute finanziell unabhängiger und sorgen selbst für ihre Pensionskasse.
Wie gehen Sie mit Diversity und Inclusion um?
Williams: Diversity ist schnell mal eingeführt, aber letztlich geht es um eine Inclusion, sodass sich alle Mitarbeitenden wohlfühlen und entfalten können. Alle sollten so arbeiten können, wie es ihren Ausprägungen und Vorlieben am besten entspricht.
Was können Sie MINT-Frauen in Ihrer Firma bieten?
Williams: Wir setzen nicht nur bei Frauen, sondern bei der gesamten Belegschaft auf Offenheit und Flexibilität. Dabei müssen wir jeden Mitarbeitenden individuell behandeln. So sind etwa die Verschiebung von Freitagen, Teilzeitstellen, Jobsharing oder das Homeoffice in vielen Bereichen problemlos möglich.
Auch die Lohngleichheit ist bei uns selbstverständlich. Wir sorgen aktiv dafür, dass alle Mitarbeitenden gleichermassen Zugang zu allen Positionen und Aufgaben haben. So sind spannende und interessante Tätigkeiten für alle zugänglich.
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