Den Fachkräftemangel mit neuen Argumenten bekämpfen
Der Fachkräftemangel in der Schweiz verschärft sich immer weiter, trotz kurzer Erholung im ersten Corona-Jahr. Berufe in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, kurz MINT, belegen dabei die Spitzenplätze. Allein in der Informatikbranche rechnet ICT-Berufsbildung Schweiz mit einem Netto-Mangel von 35 800 Fachkräften bis 2028. Bei einem erwarteten Bedarfsanstieg von 117 900 Stellen bliebe also rund jede dritte Stelle unbesetzt.
Diana Engetschwiler
Deputy Managing Director digitalswitzerland
Die potenziellen Folgen dieses Mangels sind weitreichend, von kurzfristig höheren Rekrutierungs- und Outsourcingkosten bis hin zu spürbaren Einbussen der Schweizer Wirtschaftsleistung auf lange Sicht. Erste Schritte zur Linderung dieses Problems sind bereits eingeleitet.
So sollen in der Schweiz ausgebildete Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus Drittstaaten in Branchen mit ausgewiesenem Fachkräftemangel künftig unbürokratischer in der Schweiz bleiben können.
Doch noch wichtiger als der Blick nach aussen ist der Blick nach innen – auf unseren Nachwuchs. Würden wir es schaffen, mehr Jugendliche und insbesondere junge Frauen für MINT-Berufe zu begeistern, könnte der Fachkräftemangel entschärft werden.
Das Problem: MINT-Fächer und -Berufe scheinen für die Jugend nur bedingt attraktiv zu sein. Und der Fachkräftemangel, ein hohes Salär oder Karrieremöglichkeiten sind keine effektiven Argumente, das Interesse für technische Berufe in jungen Menschen zu wecken. Ein Umdenken ist also angesagt in der Art und Weise, wie wir das Themenfeld MINT vermitteln.
Das Warum zählt
Die Sinnhaftigkeit und der gesellschaftliche Purpose von MINT-Berufen müssen stärker in den Vordergrund rücken. Sie stehen für Innovation und Zukunft, für eine bessere Welt für uns und folgende Generationen.
Es ist wichtig, Jugendlichen bereits früh die Verbindungen zur MINT-Welt aufzuzeigen.
Jugendliche können sich damit stärker identifizieren als mit einer Auflistung von technischen Skills und Anforderungen. Sie müssen eine Verbindung zwischen ihrer Lebensrealität und MINT-Berufen herstellen können.
Identifizierung und Repräsentierung
Heranwachsende werden durch ihr Umfeld massgeblich geprägt und beeinflusst. Vorbilder in der Familie und im Freundeskreis sind etwa starke Indikatoren für eine spätere Berufswahl – so auch im Bereich MINT.
Deswegen ist es essenziell, der Jugend positive Rollenbilder zu vermitteln, um auch das Interesse bei jenen zu wecken, die nicht in einem MINT-geprägten Umfeld aufwachsen. Dies gilt insbesondere für Bevölkerungsgruppen, die in diesem Bereich untervertreten sind.
Etwa Frauen: Nur neun bis zwölf Prozent der Informatiklehrstellen und lediglich 20 Prozent der ICT-Stellen sind von Frauen besetzt. Weibliche Vorbilder und Peergruppen schaffen einen Bezugsrahmen und können viel dazu beitragen, Mädchen für technische Berufe zu begeistern.
Viele Talente qualifizieren für MINT-Berufe
Ein gängiger Stereotyp ist, dass man ohne herausragende technische Fähigkeiten keine Zukunft im MINT-Bereich hat. Dabei gibt es in diesem Feld zahlreiche Berufe, die Talente erfordern, die ausserhalb der klassischen Skills liegen.
Und viele dieser Talente besitzen Jugendliche bereits. Sie erlernen sie im Fussballverein, beim Gaming nach der Schule oder in der Pfadi. Dazu gehören Kreativität, Organisationstalent oder Leadership-Skills. Es ist wichtig, Jugendlichen bereits früh die Verbindungen zur MINT-Welt aufzuzeigen.
Organisationen müssen neue Wege gehen, um den Nachwuchs für MINT-Berufe zu gewinnen. Es geht darum, aktiv Massnahmen zu ergreifen, um die Jugend abzuholen: stärkere Vernetzung aller relevanten Player in der MINT- und Nachwuchsförderung, zielgruppengerechte Kommunikation und langfristige, aufeinander aufbauende Projekte für Jugendliche. Nur so kann die Schweiz ihre hohe Innovationskraft beibehalten und sich auch künftig als starken Wirtschaftsstandort behaupten.
Text Diana Engetschwiler
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