Geschlechterverteilung im MINT-Bereich
Inspiration Weiterbildung

Die Diskrepanz der Geschlechter im MINT-Bereich

29.06.2022
von htmlheld_wartung

Die Geschlechterverteilung im MINT-Bereich sei während des Studiums und im Arbeitsmarkt unausgeglichen. Wie sieht die Statistik aus und wie entsteht diese angebliche Diskrepanz? «Fokus» hat mit Prof. Dr. Elsbeth Stern und Dr. Ralph Schumacher vom MINT-Lernzentrum der ETH Zürich gesprochen, um diesem Dilemma nachzugehen.

Prof. Dr. Elsbeth Stern

Dr. Ralph Schumacher

 

Die Schweiz weist einen tiefen Anteil von Frauen mit Studienabschlüssen im MINT-Bereich auf, wie die KOF-Analyse der ETH belegt. Demnach waren im Jahr 2017 lediglich 22 Prozent der Studienabgänger:innen Frauen (siehe Grafik 1).

Eigene Darstellung, Daten von: UNESCO Institute for Statistics

Gemäss Stern nehmen diese Zahlen zu, jedoch vorwiegend im Anwendungsbereich. Im Durchschnitt scheint es Interessenunterschiede zu geben: Frauen neigen dazu, sich stärker für Fächer wie Umweltwissenschaften, Medizin oder Biologie zu interessieren.

Laut der KOF Analyse hat dieser Unterschied wiederum einen Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Einerseits ist in der Schweiz ein Fachkräftemangel vorhanden und Frauen repräsentieren einen ungenutzten Talentpool. Andererseits bieten MINT-Berufe höhere Löhne und aufgrund der Untervertretung der Frauen in diesem Bereich verdienen sie im Allgemeinen weniger als Männer. 

Geschlechterverteilung im MINT-Bereich im Ausland

Interessanterweise weisen Länder, die einen höheren Gender-Equality-Index haben, wiederum einen geringen Frauenanteil in MINT-Berufen und -Studiengängen auf. Stern erklärt, dass dieses Paradox beweist, dass Gleichberechtigung nicht zu einer grösseren Frauenquote führt, sondern eher die Interessenunterschiede hervorhebt. So sei auch an der ETH ein grosser Unterschied in den Fachrichtungen beobachtbar.

In Studiengängen wie Elektrotechnik oder Maschinenbau seien mehr Männer vorhanden, wobei Fächer wie Medizin-Technik interessanter für Frauen seien (siehe Grafik 2). «Je stärker sich die Naturwissenschaft an den Menschen oder Problemlösung orientiert, desto stärker werden Frauen angesprochen», führt die ETH-Professorin aus. Dieses Profil der Verteilung sei zudem überall zu sehen, auch in Ländern mit einem hohen Frauenanteil im MINT-Bereich.

Eigene Darstellung, Daten von: SHIS, Bundesamt für Statistik

Ein grosser Anteil MINT-Mitarbeiterinnen sind in autoritären Staaten vorzufinden. Der Grund dafür sei, dass sie mehr Ansehen und Freiheiten haben, aber oftmals gäbe es auch keine guten Alternativen, so die Expertin. Ausserdem sind Naturwissenschaften ideologiefrei. 

Das Dilemma 

Stern erklärt, dass schon in jungen Jahren Kompetenz- und Interessenunterschiede zwischen den Geschlechtern beobachtet werden können. Kinder spielen im Durchschnitt bereits mit anderen Spielzeugen. Jungs sind von bewegenden Dingen fasziniert, wobei Mädchen sich vermehrt mit sozialen Aktivitäten beschäftigen, beispielsweise mit Puppen oder Pferden. 

Länder, die einen höheren Gender-Equality-Index haben, weisen einen geringen Frauenanteil in MINT-Berufen und -Studiengängen auf.

Des Weiteren könne auch in der Schule eine Diskrepanz im Verständnis in MINT-Fächern beobachtet werden. Stern hat jedoch herausgefunden, dass wenn Schüler:innen frühzeitig Lerngelegenheiten sowie Unterricht bekommen und so gefördert werden, diese Differenzen vermindert werden.

Das Problem sei dennoch auch die Vielzahl an Fächerangeboten. Wenn Mädchen neue Angebote wie Sprachen bekommen, fokussieren sie sich darauf. Kinder bilden schon früh ein akademisches Selbstkonzept, wobei die Leistung und Noten im Mittelpunkt stehen. Richtig auseinander geht die Schere in der Pubertät, wenn sie das Gymnasium besuchen.

Die Problematik sieht die Expertin in der erzwungenen Schwerpunktfachwahl, dies führt dazu, dass sich Schüler:innen entscheiden müssen, statt den gleichen Unterricht zu bekommen.

So wenden sich leistungsstarke Mädchen, die gut in Naturwissenschaften und Sprachen sind, eher letzteren zu (siehe Grafik 3). Dies beeinflusst wiederum die spätere Studienfachwahl. Wer ein MINT-Schwerpunktfach im Gymnasium hatte, wählt mit einiger Wahrscheinlichkeit auch ein entsprechendes Studienfach. Stern meint, die Vielfalt an universitären Studienfächern müsse noch bekannter gemacht werden, und flexible Möglichkeiten zum Richtungswechsel seien wichtig. 

Eigene Darstellung, Daten von: LABB, Bundesamt für Statistik

Fördermassnahmen

Schumacher erklärt, welche Massnahmen das MINT-Lernzentrum nutzt, um Schüler:innen zu fördern und sie stärker für den MINT-Bereich zu gewinnen. In der Längsschnittforschung der Schweizer MINT-Studie sei belegt worden, dass Schüler:innen, die frühzeitig Wissen aufbauen können, dies später zu ihrem Vorteil nutzen.

So bietet das Lernzentrum einen optimierten Physikunterricht ab der Primarstufe an und weckt das Interesse der jungen Schüler:innen. Des Weiteren soll auf das Verständnis von Grundkonzepten fokussiert und erst danach mit der Formalisierung begonnen werden – statt eines eintönigen auf das Lösen von Rechenaufgaben ausgerichteten Unterrichts.

Dadurch können bessere Leistungen erzielt werden. Letztlich sollten mit Kursprogrammen wie der ETH Youth Academy ein sozialer Kontext für leistungsstarke Schüler:innen kreiert und optimierte Materialien angeboten werden. In diesem Rahmen können sie sich ohne Zurückhaltung für MINT-Fächern begeistern.

Text Elma Pusparajah
Quelle der Statistiken Bamert, Justus, KOF Analysen 2020 (3) 

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