Leere Arbeitsplätze
News

Was hinter dem Fachkräftemangel in diesen Branchen steckt

28.08.2021
von htmlheld_wartung

Tourismus, IT, Gesundheit – unter anderem diese Branchen sind von einem Fachkräftemangel geplagt. Doch warum eigentlich? Und trifft die Branche selbst auch Schuld? «Fokus» hat nachgefragt.

Tourismusbranche: Prof. Urs Wagenseil, Co-Leiter Kompetenzzentrum Tourismus HSLU

Das Hotel- und Gastgewerbe ist berüchtigt für schlechte Arbeitsbedingungen. Lässt sich der Fachkräftemangel darauf zurückführen?

Beide Branchen sind wegen hohem Wettbewerb und sehr knappen Margen im Tieflohn-Bereich. Dies allein führt schon zu Mindernachfrage vonseiten Arbeitnehmenden. Dazu kommt, dass diese Betriebe im Prinzip rund um die Uhr agieren und deshalb auch Schichtzeit und vor allem Wochenenddienste zu leisten sind. Somit auch dann, wenn Freund:innen und Familie frei haben. Die Kombination dieser beiden Faktoren macht die Rekrutierung von Personal tatsächlich schwierig, denn zu solchen Arbeitsbedingungen sind viele nicht bereit. Das können leider auch gute Ausbildungen und Kurse nicht wegzaubern.

Was muss sich ändern, um den Fachkräftemangel im Tourismusbereich zu beheben?

Der Handlungsspielraum ist begrenzt. 24/7/365 ist branchentypisch und Kundenbedürfnis zugleich. Höhere Löhne wären gewünscht, knappe Renditen setzen aber Grenzen. Verbesserungsmöglichkeiten gäbe es bei den Anstellungsbedingungen, dem Arbeitsklima und der Mitarbeitermotivation, wie etwa frühzeitigere Arbeitspläne zur Planung der freien Tage oder vermehrte Gewährung von Weiterbildungen. Auch sollten die Lehrstellen dem Nachwuchs schmackhafter gemacht werden und diese Jobs in der Gesellschaft höhere Wertschätzung erhalten. Dazu gilt es, die Sonnenseiten dieser Jobs stärker aufzuzeigen, unter anderem die Arbeit mit Menschen und weltweite Arbeitschancen.

Gesundheitsbranche: Lukas S. Furler, Präsident der OdA Gesundheit Zürich

Vom allabendlichen Applaus zu Kritik wegen vermeintlich tiefer Impfbereitschaft: Ist die fehlende Wertschätzung der Grund für den aktuellen Mangel an Gesundheitspersonal?

Die Ursachen des Fachkräftemangels sind vielschichtig und haben vermutlich auch etwas mit der Wertschätzung gegenüber den Berufen im Gesundheitswesen zu tun. Es greift jedoch etwas kurz, die Ursache nur bei der Wertschätzung festzumachen. Weitere wichtige Faktoren sind die erhebliche Alterung der Gesellschaft und der medizinische Fortschritt, die in den letzten Jahren einen Bedarf an zusätzlichen Fachkräften generiert haben. Zudem ist der Frauenanteil beim Pflege- und Betreuungspersonal nach wie vor sehr gross. Wegen der immer noch traditionellen Aufgabenteilung bei der Kinderbetreuung führt dies zu einer signifikant tieferen Berufsverweildauer und damit zu einem höheren Bedarf in diesen Berufsgruppen. Eine vergleichbare Entwicklung zeigt sich auch bei den Ärzt:innen. Gleichzeitig stieg der Finanzdruck in allen Betrieben des Gesundheitswesens stark an. Dies hat meines Erachtens ebenfalls Auswirkungen auf die Berufsverweildauer, den Beschäftigungsumfang und dadurch letztlich die Fachkräftesituation.

Elektrobranche: Laura Kopp, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit, Mitglied der Geschäftsleitung EIT.swiss

Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut in Deutschland folgerte in ihrem Report, dass in den meisten Branchen kein Fachkräftemangel bestehe. Vielmehr sollen die Unternehmen die hohe Fluktuation als Fachkräftemangel auslegen, was ein Ausdruck ihres Bestrebens nach einer Tiefhaltung der Löhne sei. Könnte die Situation in der Schweizer Elektrobranche dieselbe sein?

Das Halten gut qualifizierter Mitarbeitender ist in der Elektrobranche eine grosse Herausforderung. Um das Lohn-Argument zu entkräften, haben die Sozialpartner den Mindestlohn auf Anfang 2021 erhöht. Der Lohn allein ist also nicht der einzige Grund. Berufsleute der Elektrobranche sind auch in anderen Branchen gefragt. Das erhöht die Konkurrenz um qualifizierte Fachkräfte.

Eventbranche: Stefan Breitenmoster, Geschäftsführer Branchenverband der professionellen Schweizer Konzert-, Show-
und Festivalveranstalter (SMPA)

Die Eventbranche setzt oftmals auf Freelancer, Festanstellungen gibt es nur wenige. Inwiefern trägt diese Arbeitsunsicherheit Schuld am Fachkräftemangel?

Dass in unserer Branche viele Freelancer arbeiten, hat nicht viel mit «absichtlich unsicheren Arbeitsverhältnissen» zu tun. Viele Event-Fachkräfte suchen genau diese Art von Arbeit. In unserer Branche arbeiten auch viele Personen mit sogenannt befristeten Arbeitsverträgen oder in Arbeit auf Abruf, weil sie dies so wollen und die damit verbundenen Freiheiten schätzen. In anderen Branchen sind solche Anstellungsverhältnisse verpönt, bei uns sind sie normal. Die Pandemie hat aber gezeigt, dass es bei diesen Arbeitsverhältnissen bezüglich Entschädigung des Lohnausfalls aufgrund des Veranstaltungsverbots Nachholbedarf gibt.

IT-Branche: Christian Hunziker, CEO SwissICT

Die Schweizer Informatik sucht so viele Fachkräfte, wie noch nie. Bis 2024 werden der Schweiz bis zu 25 000 IT-Fachkräfte fehlen. Warum entscheiden sich so wenige für eine Karriere in der Informatik?

Die Informatik ist leider immer noch mit Vorurteilen behaftet, beispielsweise dass sie kein Frauenberuf sei. Der aktuelle Frauenanteil liegt seit vielen Jahren bei nur 18 Prozent. 2020 wurden erstmals mehr als 10 000 IT-Lehrstellen gemeldet, davon waren aber weniger als 10 Prozent durch Mädchen besetzt. Die Ursache liegt wohl auch im zweiten Vorurteil: Informatiker:innen gelten immer noch als eigenbrötlerische Nerds mit hochgezogenen Hoodies. Dabei ist Teamwork gerade in IT-Projekten so wichtig wie nie und die Kooperation mit den «adretten» Geschäftseinheiten ein entscheidender Faktor für die Wettbewerbsfähigkeit vieler Firmen.

Eine Studie von Digitalswitzerland kam zum Schluss, dass beim Fachkräftemangel der IT-Branche Altersdiskriminierung eine Rolle spielt. Was für ein Problem hat die Branche mit älteren Mitarbeitenden?

Die Informatik entwickelt sich rasant weiter und das erfordert ein Bekenntnis zum lebenslangen Lernen – auf beiden Seiten. Gerade dieser Faktor kann aber in der normalen Probezeit zu wenig evaluiert werden, was unsere Fachgruppe ICT 50+ als Kernproblem identifiziert hat. Deshalb haben wir die Initiative «swissICT Booster 50+» entwickelt, welche nun vom SECO unterstützt wird.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Vorheriger Artikel
Nächster Artikel